Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning
Autoren: Dr. Markus Kaulartz und Tom Braegelmann, LL.M., Verlag C.H. Beck, 2020, 169,00 € (e‑Book: 139,99 €).
Es geht um Artificial Intelligence, so der Titel der Handbuchs und damit den englischen Begriff wählend, der mit „Künstliche Intelligenz“ wohl ziemlich schräg übersetzt ist. Die Herausgeber haben Autoren aus Wissenschaft und Praxis motiviert, „auch aus unterdisziplinärer Sicht Neuland in der digitalen Welt unter den Pflug zu nehmen“, wie es im Vorwort immerhin mit einem analogen Sprachbild heißt. Hervorzuheben ist das Bemühen, den technischen Sachverhalt auch für den gemeinen Juristen verständlich zu machen. Tröstlich: die Behauptung der Tech-Giganten, dass Erklärungen der Funktionsweise KI und wie sie zu Entscheidungen gelangt, nicht möglich seien, wird abgelehnt. Wie es im Vorwort heißt: Komplexe technische Systeme verlangen eine komplexe (auch rechtliche) Steuerung. Die Ausrede derer, die hier als „Tech-Giganten“ beschrieben werden, ihr Tun sei ohnehin unverständlich und damit einer Nachprüfbarkeit und Beurteilung entzogen, wird zu Recht abgelehnt. Diese Wissensvermittlung für Juristen wird nicht als Einbahnstraße verstanden, sondern umgekehrt ist es ein Anliegen, die Verständigung zwischen Juristen und Informatikern zu verbessern. Insoweit widmet sich das Werk der klassischen Rechtsinformatik und bleibt nicht beim Informationsrecht stehen.
Am Ende der Einführung also die Erkenntnis: Man kann KI nicht sinnvoll regulieren, wenn man sie nicht versteht. Und man sollte ein weites Verständnis von KI haben. Was für die einen noch klassische Software ist, wird von den anderen schon als KI bezeichnet. In einigen Bereichen funktioniert KI wie etwa beim autonomen Fahren, während in anderen Bereichen die Zukunft noch auf sich warten lässt. Vier technische Bereiche der künstlichen Intelligenz werden erläutert, nämlich die Mustererkennung, das maschinelle Lernen, Expertensysteme und maschinelles Planen beziehungsweise Handeln. Empfehlenswert die knappe und abstrakte Darstellung zum maschinellen Lernen. Etwas platt: Wie sieht ein „Stoppschild“ aus (und zwar nicht im Handbuch, sondern in der freien Wildbahn)? Das liegt vor der Frage, was man erreichen will, wenn man ein Stoppschild erkennt und der Folgefrage, wie man das durch Künstliche Intelligenz bewerkstelligt. Dargestellt werden kritische Eigenschaften von KI-Systemen, etwa der geringe Grad der Transparenz und die heutigen Möglichkeiten und Grenzen: Der Mensch erkennt, dass der Hahn bei Sonnenaufgang kräht, aber den Sonnenaufgang nicht verursacht. Bei KI-Systemen brauch man schon Tonnen von Daten, um hinter diese Weisheit zu kommen (schönes Beispiel aus dem Werk).
Von Machine Learning und der Nachvollziehbarkeit von KI-basierten Entscheidungen geht es zu aktuellen Projekten und einer Übersicht über europäische Strategien und Ansätze. Derart mit IT-Wissen gestählt wendet sich der Jurist den Rechtsfragen zu.
Das Haftungsrecht gerät in den Blick und damit etwa die Frage des Juristen, was Stand von Wissenschaft und Technik ist, wenn es darum geht, die Ursache für einen Schaden zu bewerten. Man kommt zur Produkthaftung, prozessualen Fragen und den Darstellungen, an wen sich die Haftung überhaupt richtet — und ob das Risiko versicherbar ist. Die Autoren arbeiten den Vorschlag heraus, auf europäischer Ebene ein Haftungssystem zu schaffen, das einem „neuen Gefährdungshaftungstatbestand durchaus nahe kommen“ könnte. Sie sprechen sich gegen die fragmentierte Anpassung bestehender Gesetze aus.
Umfangreich ist das Kapitel über Verträge. Hier geht es bereits um die Frage über die Nutzung von KI-Trainingsdaten: „Für wen lernt die KI?“. Allgemeine Geschäftsbedingungen und vertragsrechtliche Besonderheiten wie etwa der Begriff des Mangels folgen. Interessante Überlegungen zu „Verträgen mit KI“, was die Frage der Rechtsfähigkeit von KI-Systemen geradezu in philosphischer Weise aufwirft. Die „fundamentalen Prämissen der Rechtsordnung für die Verleihung von Rechtsfähigkeit“ würden kaum je erfüllt werden können, so die Einschätzung. Man kommt also dazu zurück, ein System seinem Betreiber zuzuordnen — die initiale Konfiguration geht auf den Willen des Betreibers zurück, mit dem Einsatz selbstlernender Systeme hat er ein Risiko gesetzt, dass dieses „außer Kontrolle“ geraten kann. Bei ihm fallen Chancen und Risiken des Einsatzes zusammen, er kann die Haftungsrisiken werten und steuern.
Was in der Gliederung zu „Vertragsschluss mit KI“ führt. Auch hier wird die Zurechnung „der eigenen“ Willenserklärungen des Systems zum Nutzer diskutiert, allerdings stoße man beim Geschäftswillen auf erhebliche Probleme, wenn Entscheidungen des Systems dem Nutzer weder bekannt sind, noch für ihn transparent werden.
Ausführlich versehen mit Musterklauseln wird die Gestaltung von KI-Verträgen dargelegt. Das Immaterialgüterrecht nimmt einen besonderen Stellenwert ein, wobei gerade hier der Gesetzgeber zukünftig gefragt sei. Der Datenschutz ist sehr ausführlich dargestellt. Es geht nicht nur um die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung, sondern im Anschluss an die technischen und organisatorischen Maßnahmen und Besonderheiten zu KI und um das Spannungsverhältnis der Anwendungen zum Datenschutz generell. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Förderung des Datenschutzes durch die KI möglich ist.
Weitere Kapitel befassen sich mit dem Verbraucherschutz, dem Arbeitsrecht, dem Strafrecht und KI in der Justiz und der Rechtsberatung. Das Werk bietet also einen tiefen Überblick über die vorhandenen Rechtsfragen auf Basis seiner breiten Sachverhaltsdarstellung. Die in diesem Literaturhinweis herausgegriffenen Beispiele wollen den Gang der Argumentation darstellen, das Werk markiert in vielen Rechtsbereichen gut begründete Positionen, die es lohnen, in einen wissenschaftlichen Diskurs einzutreten, um die technologische Entwicklung zu begleiten und zu steuern. Weder das Verschließen Justitias Augen vor den Herausforderungen noch restriktive Ansätze, die die Entwicklung in Europa hindern, wären sinnvolle Alternativen.