Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz
Heiko Maas
Rede des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas bei der Eröffnungsveranstaltung des 25. Deutschen EDV-Gerichtstages
Sehr geehrter Herr Professor Ory,
sehr geehrter Herr Professor Herberger,
sehr geehrter Herr Minister Toscani,
sehr geehrter Herr Cottone
meine sehr geehrten Damen und Herren,
zwischen Ihnen und der Mittagspause stehen jetzt nur noch mein Grußwort und ich. Mir war es aber wichtig, heute bei Ihnen vorbeizukommen, denn ich habe einen besonderen Bezug zum Jubiläum des EDV-Gerichtstags: Als der 1992 zum ersten Mal stattfand, war ich Student bei Professor Herberger und habe bei Ihm Rechtsinformatik gehört.
Aus mir ist zwar kein IT-Experte geworden, aber wenigstens Bundesjustizminister und deshalb sind die Fragen, mit denen sich die Rechtsinformatik und dieser Gerichtstag befassen, für mich ganz besonders wichtig.
Das Saarland und Saarbrücken sind trotz ihrer geografischen Randlage in den vergangenen 25 Jahren zu einem Mittelpunkt der Rechtsinformatik in Deutschland geworden. Dafür stehen heute
Als Justizminister und als Saarländer möchte ich Herrn Professor Herberger, seinen Nachfolgern und Mitstreitern ganz herzlich danken. Sie haben schon vor 25 Jahren viel Weitsicht bewiesen und die Bedeutung der Informationstechnologie für das Recht früher und klarer erkannt als viele andere. Das ist Saarbrücken zu Gute gekommen – und unserem Recht insgesamt. Auf dieses 25jährige Jubiläum können Sie zu Recht stolz sein und ich danke Ihnen für Ihr großes Engagement ganz herzlich!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der EDV-Gerichtstag steht in diesem Jahr unter einem pointierten Motto: „Eine Justiz ohne ‚E‘ ist möglich, aber sinnlos“.
Dieses Motto greift eine Feststellung von Vicco von Bülow, alias Loriot, auf. Allerdings ging es Loriot dabei um die Liebe zu einer ganz besonderen Hunderasse. Loriot hat formuliert: „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.“
Diese erkannte Sinnlosigkeit lässt sich auf die Digitalisierung der Justiz übertragen. Eine Justiz ohne Computer ist zwar möglich, aber sinnvoll ist das im digitalen Zeitalter sicher nicht mehr. Das hat nicht nur etwas mit der Effizienz zu tun, sondern die Justiz wäre dann auch abgekoppelt von der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger.
Die Digitalisierung ist ein Totalphänomen. Sie betrifft heute alle Lebensbereiche. Wir kaufen über das Internet ein, kommunizieren und pflegen soziale Kontakte: Nur Rechtsschutz soll es ausschließlich analog geben?
Die Justiz würde da schnell rückständig wirken. Und nicht nur das: Es geht auch um ihre Bürgernähe. Das „E“ in der Justiz gewinnt heute besonders da an Bedeutung, wo Strukturreformen bei den Gerichten den demografischen Wandel und den Rückgang der Bevölkerung nachzeichnen.
Gerichtsschließungen müssen im digitalen Zeitalter keine Katastrophe mehr sein. Gerade in manchen ländlichen Regionen lässt sich die Nähe der Justiz zu den Bürgerinnen und Bürgern eben nicht nur in Kilometern messen, sondern auch in Megabits pro Sekunde.
Meine Damen und Herren,
die Digitalisierung ist aber nicht nur sinnvoll, sie ist auch möglich. Die Justiz hat alle Voraussetzungen, um den nötigen Wandel gut zu bewältigen. So wie der Mops ist auch die Justiz „intelligent und robust“, aber während diese Hunderasse als „kurzatmig“ gilt, beweist die Justiz bei der Digitalisierung das ganze Gegenteil: ziemlich langen Atem.
Für die Einführung der E‑Akte haben wir uns viel Zeit gelassen. Schon seit 11 Jahren haben die Länder die Möglichkeit, in vielen Verfahrensordnungen eine elektronische Aktenführung bei den Gerichten anzuordnen.
Jetzt gehen wir einen entscheidenden Schritt weiter: Wir wollen zumindest in Strafsachen die E‑Akte verpflichtend einführen, heute Abend wird der Bundestag die parlamentarischen Beratungen dazu einleiten – also genau pünktlich zum EDV-Gerichtstag 2016. Ich hätte mir gewünscht, dass es jetzt auch schnell weitergeht. Aber die flächendeckende Einführung ist vor allem Sache der Länder, die wollen zwar einen fixen Zeitpunkt ins Gesetz schreiben – das ist gut – aber der soll auf das Jahr 2026 datiert werden. Das belegt dann wieder einmal die Langatmigkeit der Digitalisierung.
Gleichzeitig haben die Länder aber auch deutlich gemacht, dass ihnen die Reform nicht weit genug geht. Über den Bundesrat haben sie angeregt, die E‑Akte nicht nur in Strafsachen verbindlich einzuführen, sondern auch bei den Zivil- und Fachgerichten. Die Länder wollen sich also den finanziellen, personellen und organisatorischen Herausforderungen in ganzer Breite stellen, und das ist ein gutes Zeichen!
Meine Damen und Herren,
bei der E‑Akte geht es darum, wie die Justiz intern mit den Informationen umgeht, mit denen sie ihre Entscheidungen fällt. Beim elektronischen Rechtsverkehr geht es um die Kommunikation nach außen mit allen anderen Akteuren. Die Bezugnahme dieses Gerichtstags auf Loriot ist da etwas heikel: Loriots Werke beschäftigen sich hauptsächlich mit Kommunikationsstörungen. Allerdings nur mit den zwischenmenschlichen, nicht mit Medienbrüchen und Schnittstellen zwischen Computern.
Damit zumindest die digitale Kommunikation störungsfrei verläuft, bereiten Bund und Länder die Umsetzung unseres Gesetzes zum elektronischen Rechtsverkehr an den Zivil- und Fachgerichten vor. Bis 2018 soll sie an allen Bundes- und Landesgerichten laufen.
Meine Damen und Herren,
der Bund geht beim elektronischen Rechtsverkehr mit entschlossenem Schritt voran – und das tun wir mit „beBPo“.
„beBPo“ – das ist nicht der Name eines Mopses, sondern das steht für „besonderes elektronisches Behördenpostfach“. Über dieses Postfach können künftig alle Behörden der Länder und des Bundes mit sämtlichen Gerichten kommunizieren.
Wir haben außerdem das bundesweite elektronische Schutzschriftenregister geschaffen. Heute muss niemand mehr seine Schutzschrift an mehrere Gerichte schicken, um sicher zu gehen, dass es auch das richtige erreicht. Anwältinnen und Anwälten, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern können über das Register sämtliche deutsche Zivil- und Arbeitsgerichte mit einer einzigen Schutzschrift gleichzeitig erreichen – elektronisch per Mausklick und auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten.
Auch das besondere elektronische Anwaltspostfach, das „beA“, steht kurz vor dem Start. Die Bundesrechtsanwaltskammer hatte die Freischaltung der Postfächer für nächste Woche angekündigt. Nach einigen aktuellen Meldungen wackelt der Termin zwar, weil einige das Postfach nicht nutzen wollen. Sie meinen, dass das zu viel Aufwand bedeutet und haben geklagt, und solange das nicht geklärt ist, kann die Bundesrechtsanwaltskammer das Postfach nicht freischalten. Da gilt das Prinzip „Alle oder Keiner“.
Damit es aber trotzdem bald losgehen kann, gehen wir jetzt auf diejenigen zu, die der Veränderung kritisch gegenüberstehen:
Wir wollen per Verordnung klarstellen, dass die Nutzung des Postfachs in einer Übergangsphase freiwillig ist. Am Freitag soll das im Bundesrat beschlossen werden, damit das Postfach dann für alle freigeschaltet werden kann – auch für die, die es erst einmal nicht nutzen. Ich hoffe, dass die Bundesrechtsanwaltskammer das Postfach so bald starten kann. Dann können sich alle davon überzeugen, dass sie es ohne großen Aufwand in ihren Arbeitsalltag integrieren können.
Sinnvoll ist das Postfach auf lange Sicht aber nur, wenn alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die Nachrichten auch abrufen, wenn es also eine „passive Nutzungspflicht“ gibt. Deswegen werden wir eine entsprechende berufsrechtliche Pflicht schaffen. Bis Anfang 2018 soll die im Gesetzblatt stehen.
Ein Postfach, das von allen genutzt wird, hat nämlich klare Vorteile: Anwältinnen und Anwälte können ihre Dokumente dann nämlich in mehreren Verfahrensarten elektronisch bei Gericht einreichen auch ohne elektronische Signatur. Damit können alle viel Zeit und Geld sparen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine Justiz ohne „E“ ist also tatsächlich kaum noch denkbar, diese Beispiele zeigen es.
Es gibt im Zeitalter der Digitalisierung aber auch noch einen zweiten Grundsatz und der lautet frei nach Loriot: „Eine Leben ohne „D“ ist möglich, aber sinnlos“. D wie Datenschutz und Datensicherheit.
Bei der digitalen Kommunikation brauchen wir auch ein Höchstmaß an Sicherheit. Für das „besondere elektronische Behördenpostfach“ haben wir deshalb eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorgesehen.
Es geht dabei auch um Vertrauen. Die neue Technik kann nur gut funktionieren, wenn sie so sicher ist, dass sich selbst die IT-Spezialisten der Uni des Saarlands die Zähne daran ausbeißen, die – wie ich gehört habe – gestern hier eine „Hacking Session“ veranstaltet haben.
Gerade die Daten eines Gerichtsverfahrens sind sensible Informationen: In Strafverfahren steht die Unschuldsvermutung auf dem Spiel. Aber auch in Streitigkeiten an Arbeits- oder Familiengerichten können über Sicherheitslücken hochsensible Daten nach außen dringen.
Es geht dabei auch um unsere Grundwerte. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, die Menschenwürde dürfen nicht zur Disposition stehen.
Unsere persönlichen Daten machen aber an unseren Grenzen nicht Halt. Deswegen ist es so wichtig, dass sie nicht nur durch das Grundgesetz, sondern auch durch die neue Datenschutz-Grundverordnung der EU geschützt werden – auch die ist ja Thema bei diesem EDV-Gerichtstag.
Die Grundverordnung wird die Datensouveränität von 500 Millionen EU-Bürgern stärken, auch die der Deutschen.
Die Leitlinien des strengen deutschen Datenschutzrechts gelten weiter, etwa zur Zweckbindung der Daten oder zur Datensparsamkeit. Die Verordnung stärkt aber Einwilligung, Transparenz und Betroffenenrechte – und das über Grenzen hinweg. Unterm Strich verbessert das den Schutz persönlicher Informationen ganz beträchtlich.
Gleichzeitig wird die Grundverordnung für mehr Fairness im Wettbewerb sorgen: Für deutsche Unternehmen ist das hohe nationale Datenschutzniveau künftig kein Wettbewerbs-nachteil mehr, weil kein Mitgliedstaat mehr mit niedrigen Standards und lascher Rechtsdurchsetzung um Unternehmens-niederlassungen werben kann. In Zukunft gilt also in der gesamten EU gleiches Recht.
Meine Damen und Herren,
bis zur Anwendbarkeit der Verordnung ab Mai 2018 müssen wir das deutsche Recht noch konsequent an die europäischen Standards anpassen.
Es geht dabei vor allem um zwei Punkte:
Erstens, wie wir die Verordnung in der Praxis anwenden, etwa bei Bußgeldverfahren, oder wer Deutschland im Europäischen Datenschutzausschuss vertritt.
Zweitens wollen wir die Spielräume, die die Datenschutz-Grundverordnung durch Öffnungsklauseln und Ausnahmen lässt, so nutzen, dass etwa die Auskunftsrechte der Grundverordnung zu unseren Verfahrensordnungen passen.
Es gibt also noch einiges zu tun, aber schon jetzt macht die Grundverordnung eines sehr deutlich:
Das haben wir mit der Datenschutz-Grundverordnung getan, und dieses Beispiel sollte uns Mut machen, dass auch in anderen Lebensbereichen zu tun.
Meine Damen und Herren,
Loriot hat einmal gesagt, der beste Platz für Politiker sei das Wahlplakat: Da seien sie tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen. Ich entferne ich mich jetzt von selbst, und das auch möglichst geräuschlos. Vorher wünsche ich Ihnen allen aber noch einen erfolgreichen und anregenden EDV-Gerichtstag!
Alles Gute und vielen Dank!