Grußwort des Vorsitzenden
Das zurückliegende Jahr seit dem 26. EDV-Gerichtstag hat eJustice und eGovernment nicht entscheidend nach vorne gebracht. Mühevolle Initiativen einzelner Beteiligter wurden in der Wahrnehmung der Branche der Rechtsdienstleister sowie darüber hinaus in einer breiteren Fachöffentlichkeit durch das Desaster beim beA überstrahlt. Ob man den Begriff des Desasters überhaupt verwenden darf, wurde auch innerhalb des EDV-Gerichtstages gefragt, denn schließlich will man Gutes nicht schlechtreden. Und das beA ist nun einmal ein Kernstück des elektronischen Rechtsverkehrs, wie ihn der Bundesgesetzgeber auf den Weg gebracht hatte, und dem wir uns verpflichtet fühlen.
Die Entwicklung, die zur Abschaltung des beA führte, war ein Desaster. Einzelne technische Probleme mögen dieses Verdikt nicht verdienen. Die Kombination von Fehlern, der Zeitpunkt unmittelbar vor der passiven Nutzungspflicht, das Abtauchen von Atos etwa beim Beathon der BRAK sowie die Länge der Unterbrechung haben dem elektronischen Rechtsverkehr massiv geschadet. Anwälte, Justiz und insbesondere das rechtssuchende Publikum müssen Vertrauen in die elektronische Kommunikation mit der Justiz haben. Dieses Vertrauen müssen wir wieder erarbeiten, der EDV-Gerichtstag wird dazu beitragen.
Trotzdem hat sich in den letzten zwölf Monaten etwas getan: Ein immer größerer Kreis von Anwälten und anderen Beteiligten der Rechtspflege beschäftigt sich mit der Digitalisierung. Was ist „Legal Tech?“ fragen auch jene neugierig, die nicht zum beA-Fanclub gehören. So unbestimmt dieser Begriff ist, so sehr hat er bei vielen Juristen, die nicht zu den Digital Natives gehören, das Gefühl ausgelöst, die Digitalisierung habe den Markt der Rechtsdienstleistung erreicht. Dass die Digitalisierung in anderen Märkten mit dem Begriff der Disruption verbunden ist, weiß inzwischen jeder, der sich auch nur oberflächlich mit Beispielen wie Uber und Taxis oder Airbnb und Hotels befasst hat. So gibt es Websites, die sich mit Bußgeldbescheiden, Flug-und Bahnerstattungen und Scheidungen online befassen. Da vermutet auch der Anwalt vor Ort, dass vielleicht der eine oder andere Internet-Nutzer nach dem Einkauf bei Amazon sein alltägliches Rechtsproblem auf eine Online-Plattform hochlädt statt nach dem Einkauf die Unterlagen in den Kanzleiräumen in bester Lage in der Fußgängerzone abzugeben.
Wer Plattformen für Rechtsdienstleistungen baut, denkt an die nächsten Schritte über recht simple Angebote hinaus, die dem Marketing für Kanzleien dienen. Das führt zum Einsatz künstlicher Intelligenz auf dem Markt der Juristen. Dahinter stecken ausgetüftelte Algorithmen, die viele alltäglichen Probleme lösen. Ab wann dann doch der kluge Kopf gebraucht wird, ist die entscheidende Frage. Das meint nicht den Subsumtionsautomaten im Gericht, sondern die Rechtsanwendung in der Praxis — da geht es nicht um Dogmatik, da geht es um den wirtschaftlichen Aufwand für sinnvolle Ergebnisse.
Das Motto des diesjährigen EDV-Gerichtages „Rechtspraxis digital: Probleme bewältigen – Zukunft gestalten“ greift dies auf. Es geht darum, die Möglichkeiten zu nutzen und den Rechtsrahmen zu entwickeln. Die Wechselwirkung von technischer Machbarkeit und rechtlicher Normsetzung gehören zum Kern der Rechtsinformatik, die den EDV-Gerichtstag einmal ins Leben gerufen hat. Wir kommen auch im Jahr 2018 ohne „IT“ und ohne „Legal Tech“ im Namen aus, wir werden im kommenden Jahrzehnt auch ohne die dann hippen Buzzwords der digitalen Welt auskommen. Der EDV-Gerichtstag hat den langen Atem, den es braucht, wenn man die digitale Zukunft der Rechtspflege und der Rechtsdienstleistung verantwortlich mitgestalten will.