Grußwort des Vorsitzenden
Freies Recht für freie Bürger!?
- Zum Motto des EDV-Gerichtstages 1999 –
Zum ersten Mal in seiner Geschichte widmet sich der EDV-Gerichtstag einem rechtspolitischen Thema. Skeptiker werden die Frage nach der Zuständigkeit des EDV-Gerichtstages für die Behandlung dieser Thematik aufwerfen. Sollten sich die “EDV´ler” nicht im Sinne der Maxime “Schuster bleib´ bei deinen Leisten” Fragen von Hard- und Software und vielleicht noch der EDV-Organisation bei Gericht widmen, ansonsten aber von Nicht-EDV-Themen Abstand nehmen? Dass der EDV-Gerichtstag engagiert anderer Meinung ist, versteht sich von selbst. Der Begründung bedarf es aber doch, da der erste Eindruck der Grenzüberschreitung zunächst eine gewisse suggestive Plausibilität hat.
Der EDV-Gerichtstag hat von Anfang an seine Aufgabe nicht darin gesehen, die EDV-Geräte und die sie umgebende Infrastruktur isoliert zu betrachten und eine Art interesselosen Wohlgefallens an der technischen Weiterentwicklung zu pflegen. Die Frage lautete immer: Zu welchem (vernünftigen) Zweck sind die EDV-Instrumente in dem Sinne in Beziehung zu setzen, dass dieser Zweck mit Hilfe der EDV-Technologie besser erreicht werden kann als auf andere Weise. In diesem Sinne kann (und muß) man etwa fragen: “Can computing in the law contribute to more justice?”
(vgl. http://www.jura.uni-sb.de/jurpc/aufsatz/19980084.htm)
Was nun die Gesetzespublikation angeht, eröffnet das Internet (auch ein EDV-Instrument) Möglichkeiten, die vorher auf Grund anderer wirtschaftlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen nicht gegeben waren. Natürlich wäre niemand auf den Gedanken gekommen, jedem Bürger ein kostenloses Druckexemplar des Bundesgesetzblattes verheißen zu wollen. Im Internet ist das aber eine reale (sogar real existierende) Möglichkeit. Auf Grund dieser neuen Infrastruktur mit Möglichkeiten, die früher als utopisch galten, fühlt sich der EDV-Gerichtstag verpflichtet, seine Sachkompetenz in die Waagschale zu werfen und dazu beizutragen, dass das früher Undenkbare durchdacht wird. Und da hier Juristen am Werk sind, die sich rechtsstaatlichen Idealen verpflichtet fühlen, darf wohl im Wege der “Annex-Kompetenz” auch der Versuch unternommen werden, das als technisch möglich Erkannte in ein rechtsstaatlich und demokratietheoretisch motiviertes Handlungsgebot umzusetzen. Sollte dabei Konsens zu erzielen sein, wäre das (für die deutsche Situation) ein Durchbruch. Sollte sich dieser Konsens nicht herstellen lassen, wäre wenigstens ein Beitrag dazu geleistet worden, die Frage des freien Rechts für freie Bürger zum Thema zu machen, auch zum Thema für politische Entscheidungsträger.
Ein Vorwort ist nicht der Platz für ein inhaltliches Plädoyer. Dafür wird der EDV-Gerichtstag mit Eröffnungsvortrag, Mitgliederversammlung und Abschlußplenum genügend Möglichkeiten bieten. Nur soviel sei im Sinne einer Öffnung der Debatte in europäische Zusammenhänge gesagt: Was der EDV-Gerichtstag anregt, ist anderwärts bereits gesetzliche Realität. In § 7 des österreichischen Bundesgesetzblattgesetzes liest man:
“Die für das Bundesgesetzblatt erstellten Daten sind nach Maßgabe der technischen und dokumentalistischen Möglichkeiten dem Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) zur Verfügung zu stellen. Die konsolidierte Fassung der Bundesnormendokumentation im RIS und der Inhalt des Bundesgesetzblattes sind unentgeltlich im Internet bereitzustellen.”
Diese Gesetz (das natürlich im Internet recherchierbar ist, vgl. http://www.ris.bka.gv.at/auswahl/ ist im österreichischen Parlament einstimmig verabschiedet worden.
Soweit das Exposé zum Tagungsthema. Und damit die Wertung nicht ganz in den Hintergrund tritt, füge ich hinzu: Tu felix Austria.
Prof. Dr. Maximilian Herberger