Presseberichterstattung
Bericht über den 8. Deutschen EDV-Gerichtstag 1999 vom 15.09.1999 bis 17.09.1999 in Saarbrücken
Dr. Wolfram Viefhues, Richter am Amtsgericht Amtsgericht Oberhausen/Oberlandesgericht Düsseldorf
Freies Recht für freie Bürger ! ?
Das war das Motto des diesjährigen EDV-Gerichtstages, der rund 500 Experten aus allen Fachrichtungen begrüßen konnte. Damit widmete sich der EDV-Gerichtstag zum ersten Mal in seiner Geschichte einem rechtspolitischen Thema. Wie der Vorsitzende Prof. Herberger in einem Grußwort betonte, hat der EDV-Gerichtstag von Anfang an seine Aufgabe nicht darin gesehen, die EDV-Geräte und die sie umgebende Infrastruktur isoliert und wertfrei zu betrachten und lediglich das Wohlgefallen an der technischen Weiterentwicklung zu pflegen. Vielmehr ist immer die Frage aufgeworfen worden, zu welchem vernünftigen Zweck die EDV-Instrumente einzusetzen sind, der auf eine moderne Weise besser erreicht werden kann. Bei der Publikation von Gesetzen eröffnet das Internet als neues EDV-Instrument nunmehr Möglichkeiten, die vorher auf Grund anderer wirtschaftlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen nicht gegeben waren. Während bislang niemand ernsthaft auf den Gedanken gekommen ist, jedem Bürger ein kostenloses Druckexemplar des Bundesgesetzblattes zuzusenden, ist dies im Internet eine reale und sogar real existierende Möglichkeit. In seinem Eröffnungsvortrag zum Rahmenthema schlug dann Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Berkemann einen Bogen von den Gesetzesverkündungspraktiken im Alten Testament (dort lasen die Leviten den Bürgern die Gesetze vor) zum preußischen Allgemeinen Landrecht (in dem der römischrechliche Grundsatz “Unwissenheit schützt nicht vor Strafe” erneut kodifiziert worden ist). Wie kann aber der Staat vom Bürger die Einhaltung von Regeln verlangen, wenn er sie ihm nicht zuvor kenntlich gemacht hat? Konsequenterweise konnte der preußische Bürger die königlichen Gesetze durch ein portofreies Abonnement der Gesetzessammlung beziehen. Erschwert wird die Situation heute durch die Gesetzgebungspraxis. Neu verkündet im Bundesgesetzblatt werden nicht komplette Gesetze mit allen eingearbeiteten Änderungen, sondern nur die Änderungen selbst (“wird § 6 dahingehend geändert, daß in Absatz 2 Satz 1 das Wort “und” durch “oder” ersetzt wird.”). Verstehen läßt sich dies nur nach einer Konsolidierung, also nach dem Einbau der Änderungstexte in das bisherige Gesetz. Während das Bundesgesetzblatt mit dem oben beschriebenen Inhalt heute kostenfrei im Internet verfügbar ist, haben die juristischen Fachverlage die Veröffentlichung der Konsolidierung als Ihre Aufgabe übernommen und aus dieser Zurückhaltung des Gesetzgebers ein wirtschaftlich lukratives Betätigungsfeld gemacht. Darf also der Gesetzgebers aufgrund der oben beschriebenen neuen technischen Möglichkeiten des Internets die gesetzlichen Vorschriften in konsolidierter Form kostenfrei zur Verfügung stellen oder muß er es sogar ? Nach der Justizverwaltungskostenordnung können Gerichtsentscheidungen auf Diskette angefordert werden; hierfür wird ein pauschales Entgelt zur Abdeckung des personellen und sachlichen Aufwandes bei den Gerichten erhoben. Ergibt sich hieraus und aus dem haushaltsrechlichen Verbot, Wirtschaftsgüter nicht zu verschenken, eine Sperre, Gesetzestexte in elektronischer Form via Internet unentgeltlich bereitzustellen ? Berkemann legte überzeugend dar, daß Gesetze keine Wirtschaftsgüter per se sind, sondern allenfalls von den Verlagen zu solchen gemacht wurden und daß sich daraus keine Sperrwirkung ergeben kann. Bei der Kostenregelung der Justizverwaltungskostenordnung handelt es sich um eine Ermächtigungsgrundlage, auf deren Grundlage in diesem konkret geregelten Fall Kosten erhoben werden können, nicht aber um eine Verbotsnorm für andere Fälle. Der Grundsatz “Unwissenheit schützt nicht vor Strafe” geht von der Fiktion aus, daß der Bürger die Gesetze kennen könnte. Dem Bürger alle Gesetze in gedruckter Form ins Haus zu liefern war es bisher aus Kostengründen nicht möglich. Man muß aber rechtlich und rechtspolitisch auf den technologischen Wandel reagieren. Diese Kostengründe existieren bei den elektronische Medien nicht, zumal die konsolidierten Normtexte der Bundesrechtsdatenbank in elektronischer Form bei Gesetzgeber bereits vorliegen. Berkemann bezeichnete abschließend die gebotene Rechtsinformation durch den Staat als Teil der Daseinsvorsorge und forderte zumindest de lege ferenda den kostenfreien Zugang für den Bürger. In der anschließenden sehr interessanten und spannenden Podiumsdiskussion zum gleichen Thema prallten die Argumente beider Seiten aufeinander. Ein Blick über die Grenzen nach Frankreich und Österreich zeigte beispielhaft, daß in einigen anderen Ländern bereits in deutlich stärkerem Umfang Rechtstexte vom Staat kostenfrei bereitgestellt werden. Der Vertreter der Verleger bezog sich auf die gute privatwirtschaftliche Versorgung und sah in der geforderten unentgeltlichen Bereitstellung der Gesetzestexte im Internet eine Gefahr für die Rechtskultur aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Verlagsvielfalt. Die Gegenmeinung kritisierte diese Position als eine Verteidigung von Pfründen, die nicht rechtlich geschützt sind. Die Gesetzeskenntnis gehöre zur öffentlichen Grundversorgung, die der Staat unentgeltlich sicherstellen müsse. Aufgeworfen wurde die Frage, ob die kostenlose Bereitstellung der Gesetze den Rechtsfrieden verbessere und welche Veränderungen in der Gesellschaft daraus zu erwarten seien. Auch Prozesse erfordern Gebühren; es gebe also nicht überall unentgeltliche Rechtssicherheit. Klar sein müsse auch, daß der unentgeltliche Zugriff lediglich die Kosten vom Nutzer auf die Allgemeinheit — also den Steuerzahler — verlagere. Der Behauptung, die Gesetze seien für Fachleute geschrieben und daher für den “Normalbürger” unverständlich wurde mit der Frage begegnet, ob der Bürger die Vorschriften besser verstehe, wenn er dafür bezahlen müsse. Diskutiert wurde auch die politische Forderung, der Gesetzgeber müsse immer die Gesetze in konsolidierter Form beschließen und neu veröffentlichen — was unter den veränderten technischen Möglichkeiten durchaus möglich wäre. Da die konsolidierten Texte im Gesetzgebungsverfahren ohnehin als Arbeitsgrundlage des Gesetzgebers zusammengestellt werden, wurde die Diskussion mit der Forderung abgeschlossen, man könne sie unter den veränderten technischen Gegebenheiten auch dem Bürger unentgeltlich zur Verfügung stellen. Daneben befaßte sich der EDV-Gerichtstag 1999 in seinen verschiedenen Arbeitskreisen mit verschiedenen Fragen an den Schnittstellen der Informationstechnik zum Recht. Der Arbeitskreis “Kriminalität im Internet” trug der Tatsache Rechnung, daß das Internet ungewollt zum gefährlichen Tummelplatz für Kriminelle jeder Couleur geworden ist. Neben IT-spezifischen Deliktsformen wie Computerspionage, Computersabotage sowie alle Formen der Datenmanipulation sind “gewöhnliche” Straftaten wie Verbreitung von Pornographie, Erpressung per e‑mail, Urheberrechtsverletzungen, Anlagebetrug, verbotenes Glücksspiel, gemeingefährliche Straftaten wie die Anleitung zum Bombenbau und politische Straftaten wie Aufstachelung zum Rassenhaß zu nennen. Die Teilnehmer des Arbeitskreises erhielten die Möglichkeit, sich aus erster Hand über die Entwicklungsströmungen der Kriminalitätsformen und die Möglichkeiten ihrer Eindämmung und Strafverfolgung zu unterrichten. Die “digitale Signatur”, die tatsächlich nur ein digitales Siegel ist, eröffnet erstmalig ein weites Feld zur sicheren Übermittlung von Daten in öffentlichen Datennetzen. Zur sogenannten “Identifikation” werden Smartcard, PIN und Passwort benötigt. Allerdings sind auch diese Techniken nicht ohne Schwächen und Risiken. Karten können verloren gehen, Pin-Nummern ausgespäht werden — es fehlt also an der eindeutigen und unveränderbaren Zuordnung zu einer Person. Biometrische Verfahren könnten hier eine Lösung bieten. Beispielhaft für ein solches biometrisches Verfahren ist die elektronisch vierdimensional erfaßte Unterschrift. (Zweidimensionales Bild, Schreibdruck auf die Auflage und Zeitverlauf; stufenlos erfaßt mit beliebigen Stiften). Der Arbeitskreis “Authentifikation und elektronische Unterschrift” befaßte sich mit diesen Möglichkeiten der Überprüfung von Unterschriften auf ihre Echtheit und die Nutzung dieser Erkenntnisse für die Sicherung elektronischer Dokumente. Der Arbeitskreis “Rechtshilfe im Internet” beschäftigte sich mit den Möglichkeiten, die das Internet der internationalen Rechtshilfe eröffnet. Da in diesem Gebiet nicht nur juristische, sondern auch außenpolitische Fragen eine Rolle spielen, werden mitunter sogar tagespolitisch aktuelle Informationen benötigt, um Rechtshilfeangelegenheiten zu bearbeiten. Auch die Fülle der zu beachtenden Vereinbarungen in Form bilateraler und multilateraler Verträge ist beachtlich und verlangt geradezu nach einer informationstechnischen Unterstützung, für die als praktisches Beispiel die im Auftrag des Justizministerium Nordrhein-Westfalen erstellte Anwendung IDR (Informations- und Dokumentenerstellungssystem für Rechtshilfeangelegenheiten) vorgestellt wurde. Die Arbeitsgruppe “Anwaltssoftware” behandelte in diesem Jahr der Komplex der Fristen und Termine in Anwaltsprogrammen. Der Arbeitskreis “Handbuch und Dokumentation” befaßte sich mit der Vorgehensweise bei der Erstellung von Softwaredokumentation für Anwender und veabschiedete einen “Saarbrücker Standard 1999 für Anwenderdokumantaionen”. Unter dem Thema “SGML/XML für juristische Texte” erörterten weitere Tagungsteilnehmer die Möglichkeiten, aus stark strukturierten Texten die enthaltenen Strukturinformationen bei der elektronischen Bearbeitung und Darstellung zu übernehmen und beim Datenaustausch weiterzugeben. Hierzu bieten sich SGML (Standard Generalized Markup Language) und XML (Extensible Markup Language) als Datenformate, die die Abbildung des Struktur eines Dokuments erlauben, an. Die Übermittlung von Schriftstücken in elektronischer Form nimmt im gesellschaftlichen Leben einen immer größeren Stellenwert ein und verdrängt zunehmend die Kommunikation in Papierform. Die Bund-Länder-Kommission berichtete über Projekte, es dem rechtsuchenden Publikum zu ermöglichen, den Schriftverkehr mit Gerichten und Staatsanwaltschaften im Wege der elektronischen Datenübertragung durchzuführen. Nach einem Eröffnungsvortrag zum Stand und den Entwicklungen des elektronischen Rechtsverkehrs in den Ländern wurden Projekten des elektronischen Rechtsverkehrs (Bayern) sowie Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation am Beispiel des Projektes “Televerwaltung Bitburg” (Rheinland-Pfalz) vorgestellt. Anschließend wurden aktuelle IT-Verfahren der Landesjustizverwaltungen präsentiert. Weitere Informationsveranstaltungen behandelten die Themen “Das Grundbuch im Internet” (hier standen Grundfragen des elektronischen Zugangs zu öffentlichen Registern sowie Sicherheitsfragen im Mittelpunkt) und “Recht im Hypertext”. Die vollständig ausgebuchte Firmenausstellung machte deutlich, welche Bedeutung der EDV-Gerichtstag inzwischen für die Fachwelt erlangt hat. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß die Teilnehmer sich am Eröffnungsabend wieder der Gastfreundschaft der juris GmbH erfreuen konnten, die wieder einmal mit Getränken, Speisen und musikalischer Untermalung einen passenden Rahmen für das erste informelle Zusammentreffen geboten hat. Der nächste EDV-Gerichtstag wird vom 20.bis 22.09.2000 in Saarbrücken stattfinden. Die Geschäftsstelle des EDV-Gerichtstages ist erreichbar unter Tel. 0681 302 3150. Internet-Adresse www.edvgt.de.