XML zur Strukturierung juristischer Texte
Zeit: | Donnerstag, 21. September, 16.00 Uhr |
Ort: | HS 112 |
Moderation: | Herr Professor Dr. Herberger |
Referenten: | Herr Dipl.-Ing. Mag. Felix Gantner Herr Jörn Erbguth Herr Dr. Matthias Kraft |
XML-basierter Saarbrücker Standard für Gerichtsentscheidungen
Judikaturdokumentation und Aktenverwaltung im Verwaltungsgerichtshof Wien
Judikaturdokumentation und Aktenverwaltung werden in Gerichten meist durch getrennte EDV-Lösungen unterstützt. Während die Aktenverwaltung in der Geschäftsstelle mit Datenbanklösungen realisiert wird, beschränkt sich die Unterstützung der juristischen Analyse und Verwaltung der Entscheidungstexte im Evidenzbüro meist auf die Verwendung einer Textverarbeitung und mehr oder weniger ausgereifter Makros zur Durchführung standardisierbarer Arbeitsabläufe.
Im Verwaltungsgerichtshof Wien (VwGH) wurden im Rahmen einer notwendigen Neugestaltung der EDV-Lösung für die Geschäftsstelle auch neue Wege bei der DV-Unterstützung der Evidenzstelle beschritten.
Die Ausgangssituation
Bisher wurde die Verwaltung der Akten über eine Datenbank im VwGH realisiert. Die Judikaturdokumentation wurde elektronisch über das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS, http://www.ris.bka.gv.at) erledigt. Das RIS ist eine (großteils auch für die Öffentlichkeit kostenlos verfügbare) Volltextdatenbank, in die der VwGH sämtliche relevanten Eintscheidungstexte einbringt. Die Zugriffs- und Abfragemöglichkeiten im VwGH unterscheiden sich nicht von denen der übrigen Benutzer, so daß auf besondere Bedürfnisse des Gerichtshofs nicht eingegangen werden kann.
Die Aufbereitung der Dokumente wurde durch Word-Makros unterstützt, was gerade bei der Bearbeitung von dokumentalistischen Metadaten (Rechtsvorschriften, Schlagworte, …) ein großes Fehlerpotential und damit verbunden auch einen sehr hohen Prüf- und Korrekturaufwand zur Folge hatte.
Eine Analyse der Zusammenhänge zwischen der benötigten Daten und Arbeitsabläufe in Evidenzbüro und Judikaturdokumentation ergab folgendes:
- Aktenverwaltung und Judikaturdokumentation haben zeitlich und inhaltlich geringe Bezugspunkte. Ein Geschäftsfall wird bei der Verwaltung eines offenen Verfahrens nach gänzlich anderen Kriterien und mit völlig anderen Arbeitsabläufen bearbeitet als das Verfahrensergebnis (Entscheidungsdokument) durch die Judikaturdokumentation.
In diesem Sinne ist eine weitgehende Trennung der EDV-Unterstützung in beiden Bereichen sinnvoll.
Jedoch:
- Grundlegende Daten eines Geschäftsfalls werden bei der dokumentalistischen Auswertung des Geschäftsfalls wiederholt benötigt und müssen regelmäßig neu erfaßt und kontrolliert bzw. korrigiert werde. Änderungen dieser Daten (z.B. Fehlerkorrekturen, nachträgliche verfahrensbedingte Abänderungen) im Geschäftsstellenbereich müssen auch in der Dokumentation erneut erfaßt werden.
- Die Trennung der beiden Systeme führt zu erhöhtem Kommunikations- und Arbeitsaufwand, da Daten im konventionellen Weg (Aktenlauf) zwischen den einzelnen Stellen weitergeleitet werden müssen. Die Daten, welche Akten neu abgeschlossen wurden und bei welchen Änderungen vorzunehmen sind, mußten im Evidenzbüro händisch (Excel, …) verwaltet werden.
Zusätzlich ergab die Analyse des Informationsbedarfs der einzelnen Arbeitsbereiche, daß gerade bei Richterarbeitsplätzen ein großer Bedarf auf denen einheitlichen Zugriff am Arbeitsplatz auf alle relevanten Daten von Aktenverwaltung und auf die Judikaturdokumentation besteht.
Die Verbindung von Aktenverwaltung und Dokumentation
Es wurde daher im VwGH ein EDV-System entwickelt, in dem Geschäftsstellenverwaltung und Judikaturdokumentation in einer einheitlichen Datenbanklösung unterstützt werden. Durch die Verbindung der beiden Arbeitsbereiche konnte die Kommunikation zwischen diesen wesentlich vereinfacht und beschleunigt werden. Eine Mehrfachverwaltung von Daten ist nicht mehr notwendig, wodurch zahlreiche Fehlerquellen ausgeschaltet und die Aktualität und inhaltliche Richtigkeit der Judikaturdokumentation wesentlich verbessert werden konnte.
Im Detail besteht das System aus folgenden Teilbereichen:
Aktenverwaltung
Dieser Bereich des Systems dient der Verwaltung der Aktendaten im laufenden Verfahren. Dabei handelt es sich um sämtliche Personendaten, wesentliche Verfahrensdaten (Einbringungsdaten, Entscheidungsdatum, …) und die Ordnungszahlen für die Schriftstücke des Aktes.
Dieser Teil des Programms entspricht im wesentlichen der üblichen Aktenverwaltung. Wesentlich erweitert wurde dieser Bereich durch die elektronische Erstellung und Verwaltung von Formularen.
Formulare
Formulare, die im Verfahren im VwGH laufend von Richtern benötigt werden, sollten durch das System automatisch mit den jeweils relevanten Daten ausgefüllt werden. Zusätzlich sollten auch die vom Richter für das Formular erstellten Texte (Begründungen, …) in der Datenbank erfaßt werden, um eine Mehrfacherfassung dieser Daten zu verhindern.
Es stellte sich heraus, daß eine „klassische“ Lösung mit MS Word, Formatvorlagen und Makros nicht sinnvoll war, da
- für jedes neue Formular und jede Änderung im Formular Programmieraufwand notwendig wäre,
- Datenbankzugriffe nur über aufwendige Makroprogrammierung möglich wären und
- durch laufende Änderungen bei Updates kein dauerhaft wartungsfreies und stabiles zu realisieren wäre.
Es wurde daher ein Autorensystem für Formulare entwickelt, mit dem sowohl eine elektronische Eingabemaske, Workflowelemente als auch die Ausgabe in Word zentral definiert werden können.
Durch einfache Definitionen im Autorensystem werden elektronische Formulare für Richter entwickelt, die sofort am Bildschirm bereitstehen. Die vom Richter eingegebenen Daten können unmittelbar in Reinschriften übernommen und ausgefertigt werden.
Durch diese Form der Formularerstellung und Verwaltung sind einerseits Änderungen im Formularwesen einfach zu realisieren und andererseits auch Softwareupdates unproblematisch, da nur mehr einige wenige grundlegende Befehle im Textverarbeitungsprogramm (Text einfügen, Fett, Kursiv, …) bei der Dokumenterstellung benötigt werden. Diese ändern sich meist bei Updates nicht oder sind in kurzer Zeit anpaßbar.
Judikaturdokumentation
Wesentliche Verbesserungen brachte die Verbindung von Aktenverwaltung und Judikaturdokumentation bei der Auswertung der Entscheidungsdokumente.
Mit der Erledigung von Akten wird auch eine anonymisierte Fassung des Erkenntnis bzw. Beschluß beim Akt gespeichert und kann sofort von Richtern abgerufen werden.
Die Bearbeiter im Evidenzbüro erhalten über Auswertungen immer den aktuellen Stand der Dokumente, die noch zu bearbeiten sind.
Metadaten, der Entscheidung, die bereits im System vorhanden sind, werden unmittelbar bei der Anzeige des Dokuments aus den Aktendaten in der jeweils aktuellen Fassung ausgewertet.
Durch eigene Auswertungsmasken wird sichergestellt, daß bei Rechtsvorschriften und anderen Metadaten, die bei der Auswertung zugeordnet werden, eine einheitliche Schreibweise sichergestellt wird.
Umfangreiche Möglichkeiten zur Verweisdefinition und ‑gestaltung ermöglichen eine über das bisher vorhandene hinausgehende Darstellung der Verbindungen zu anderer Judikatur.
Fehler bei der Analyse der Dokumente konnten dadurch wesentlich verringert und die Qualität der inhaltlichen Aufbereitung verbessert werden.
Sämtliche Daten der Judikaturdokumentation sind von jedem Arbeitsplatz im VwGH immer im aktuellen Stand abrufbar.
Dokumentlieferung
Ebenfalls automatisiert wurden die Dokumentlieferungen von Entscheidungsdaten an das RIS oder Verlage. Es wird für jeden „Kunden“ das benötigte Datenformat festgelegt und die neuen geänderten Dokumente werden automatisiert im entsprechenden Format erzeugt. Dies kann auch zeitgesteuert erfolgen, so daß z.B. für das RIS täglich die neuen Entscheidungen ohne zusätzlichen Aufwand im VwGH geliefert werden können.
Dipl.-Ing. Mag. Felix Gantner
infolex
Rechtsinformatikberatung
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