Ein juristisches Informationssystem am Internationalen Strafgerichtshof
Zeit: | Donnerstag, 14. September 2005, 15.00 Uhr |
Ort: | HS 117 |
Referent: | Herr Klaus Rackwitz, Senior Administrative Manager, Internationaler Strafgerichtshof, Den Haag |
Moderation: | Herr Richter am Amtsgericht Franz-Xaver Dimbeck, Amtsgericht Erding |
Dokumente: | Protokoll |
The Case Matrix — Ein juristisches Informationssystem
am Internationalen Strafgerichtshof
Case Matrix ist eine Software die den Beteiligten einen strukturierten Überblick über die einzelnen Tatbestandsmerkmale der zu ermittelnden Straftaten verschafft, die zu jedem Tatbestandsmerkmal vorhandenen Beweisstücke verwaltet und die dem Benutzer gleichzeitig Rechtsprechung und Literatur zu den teilweise sehr komplexen Tatbestandsmerkmalen erschließt. Das Hauptziel der Entwicklung ist die Verkürzung der Verfahrensdauer durch optimierte Prozessvorbereitung. Mit Case Matrix ist es möglich, zu allen Tatbestandsmerkmalen ausreichend viele Beweismittel zu verwalten und damit zu verhindern, dass einzelne Tatbestandsmerkmale ¿überermittelt¿ werden, ein Phänomen, das vor allem bei den beiden ad-hoc Gerichten für Ruanda und das frühere Jugoslawien zu beobachten ist.
Die Hauptfunktionen von Case Matrix können wie folgt beschrieben werden:
Juristisches Referenzsystem
Case Matrix listed und strukturiert alle Tatbestandsmerkmale der Straftaten des Römischen Statuts sowie alle möglichen Begehungsformen. Zu jedem Tatbestandsmerkmal (objektiv und subjektiv) ist ein online-Kommentar hinterlegt, über den auch die Rechtsprechung zu diesen Tatbestandsmerkmalen erschlossen werden kann.
Praktische Anleitung für die Ermittler
Neben der Beschreibung der einzelnen Tatbestandsmerkmale und der Begehungsformen kann der Nutzer mit Case Matrix auch Hilfestellung zu der Frage erhalten, wie die einzelnen Merkmale vor Gericht zu beweisen sind. Gerade in diesem Punkt gestaltet sich die Tagesarbeit besonders schwierig: Die Ermittler, die häufig aus sehr unterschiedlichen nationalen Rechtssystemen kommen, haben teilweise völlig verschiedene Vorstellungen hinsichtlich der Beweisführung. Dies hat in der Vergangenheit vor allem bei den ad-hoc Gerichten zu teilweise exzessiven Beweismittelsammlungen geführt. Die Unterstützung des Nutzers reicht von der Typisierung der einzelnen Beweismittel (Zeugen, Augenschein, Urkunden etc.) über die Frage der Zulässigkeit einzelner Beweismittel hinsichtlich bestimmter Tatbestandsmerkmale (z. B.: Kann ein Mord auch bewiesen werden, wenn die Leiche nicht vorhanden ist, etwa anhand von Photos?) bis hin zur Bewertung der Beweismittel durch die bisherige Rechtsprechung zum Völkerstrafrecht.
Falldatenbank
Diese für jeden Fall verwendbaren generellen Informationen können in Case Matrix mit den im aktuellen Ermittlungsverfahren gefundenen Beweismitteln des konkreten Falles verknüpft werden. Der Benutzer erhält damit jederzeit einen vollständigen Überblick und kann entscheiden, ob für jedes der Tatbestandsmerkmale bereits genügend Beweismittel zur Verfügung stehen und ob etwa auch entlastendes Material zu einzelnen Tatvorwürfen vorhanden ist, das nach den common-law geprägten Grundsätzen der Verfahrensordnung an die Verteidigung herauszugeben ist (Art. 67 Abs. 2 Röm. Statut). Nur so kann die Frage: “Are we trial-ready?” verlässlich beantwortet werden.
Mit diesen Funktionen sollen folgende Ziele erreicht werden:
- Vollständiger Überblick in komplexen Ermittlungsverfahren
- Visualisierung und Konkretisierung der relevanten Tatbestandsmerkmale und der Fakten im konkreten Fall
- Steuerung und optimale Nutzung der vorhandenen Ermittlungskapazitäten
- Verhinderung exzessiver Beweismittelsammlungen
- Management und Unterstützung strategischer Entscheidungen im konkreten Fall
Case Matrix wurde von Mitarbeitern des Internationalen Strafgerichtshofs konzipiert. Die technische Realisierung erfolgt in Kooperation mit der Universität Saarbrücken, Institut für Rechtsinformatik.
Eines der erklärten Ziele des Projektes ist die Bereitstellung der Software auch für andere Strafverfolgungsbehörden und Einrichtungen. Die Software wird bereits heute in Indonesien (The Indonesian Prosecutor General’s Directorate for International Crimes Cases) und in Norwegen bei der Verfolgung von Straftaten des Völkerstrafrechts eingesetzt. Darüber hinaus wird eine ins Arabische übersetzte Version zu Ausbildungs- und Trainingszwecken am “Iraqui Special Tribunal” verwendet. Weiterhin plant des kambodschanische Sondergericht für die Straftaten der Roten Khmer (The Cambodian Extraordinary Chambers) die Software einzusetzen, sobald eine ins Khmer übersetzte Version vorliegt.
Die Abgabe der Software erfolgt grundsätzlich kostenlos. Sie kann an allen Gerichten und Staatsanwaltschaften verwendet werden, die Straftaten nach dem Römischen Statut verfolgen.
Diese Software würde ich den Besuchern des nächsten EDV-Gerichtstages gerne demonstrieren, vielleicht verbunden mit einem kurzen Überblick über den IStGH, an dem am 20. März die erste Verhandlung unter Anwesenheit eines Beschuldigten stattgefunden hat.