Grußwort des Vorsitzenden
IT@Recht — Auf dem Weg zur Justiz 2.0? — IT und Recht in der Netzgesellschaft
Das also ist die Thematik, mit der sich der diesjährige EDV-Gerichtstag beschäftigen will.
Wer „Justiz 2.0“ liest, denkt an „Web 2.0“ – und so ist es auch beabsichtigt. Nun wissen wir aber alle, dass „Web 2.0“ nicht wirklich ein Fachbegriff ist. Doch soviel ist richtig:
„Der Begriff postuliert in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten eine neue Generation des Webs und grenzt diese von früheren Nutzungsarten ab.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0)
So betrachtet verbirgt sich hinter „Justiz 2.0?“ die Frage, welcher Zukunftshorizont der Justiz sich von früheren „Nutzungsarten“ so essentiell abheben könnte, dass er eine neue Versionsnummer verdient.
Natürlich sind wir beim EDV-Gerichtstag der Überzeugung, dass IT-Technologien dabei eine entscheidende Rolle spielen können, spielen werden und spielen müssen. Aber es zeigt sich doch auch, dass die Kernfrage zuerst einmal IT-unabhängig zu stellen ist und sich an den Werten orientieren muss, von denen „Justiz“ schon etymologisch als Verwalterin der „iustitia“ lebt. Und erst wenn man sich darüber verständigt hat, kann man gut rechtsinformatisch fragen, welche Mittel zur Erreichung dieser Zwecke angemessen sind. Es müssen dies übrigens nicht notwendigerweise sämtliche Web-Technologien sein, nur weil diese eben verfügbar und en vogue sind. Ein Zitat mag genügen, um zu veranschaulichen, dass hier durchaus ein Gefahrenpotential besteht. So wurde in einer Broschüre eines großen deutschen IT-Konzerns 1999 allen Ernstes folgendes propagiert:
„Ein Chat-Room unterstützt den Informationsaustausch zwischen den Arbeitsgerichten und trägt zur Beschleunigung und Vereinheitlichung der Entscheidungsfindung bei.“
Immerhin sind mit „Beschleunigung und Vereinheitlichung der Entscheidungsfindung“ – soviel sei der Fairness halber ausdrücklich konstatiert – zwei Gerechtigkeitswerte benannt. Aber ein „Chat-Room“ als dafür geeignetes Mittel? So betrachtet erweist sich dann doch das Verständnis von „iustitia“ als notwendiger kritischer Horizont für die Bewertung von der Justiz angedienten IT-Mitteln.
Übrigens hätte der EDV-Gerichtstag noch gute Chancen, bei der Begriffsprägung für „Justiz 2.0“ maßgeblich mitwirken zu können. Denn in der entsprechenden Google-Suche rangiert er (Stand: 6.9.2010) mit dem diesjährigen Motto auf Platz 3 hinter „Justiz 2.0: Wie schuldig ist Kachelmann?“ (hier gilt es hinzuzufügen: Vorsicht – Spiegel-Satire) und „Justiz 2.0? Vollautomatische Gerichtsurteile in China“ (hier gilt es hinzuzufügen: Vorsicht – keine Satire). Bei Bing liegen wir sogar auf Platz 2 hinter „Justiz 2.0 – der Kampf gegen die Onlinekriminalität“.
Oder sollte man, statt von „Justiz 2.0“ zu reden, lieber bei der eingeführten Marke „e‑justice“ bleiben, die wir unserem Gastland Österreich verdanken?
Dafür spricht einiges, kann diese Marke doch bereits auf eine regelrechte Tradition zurückblicken: 2006 in Wien kreiert, dann von der deutschen Ratspräsidentschaft übernommen (Bremen 2007), unter den folgenden Ratspräsidentschaften fortgesetzt mit Tagungen in Lissabon (2007), Portoroz (2008), Dijon (2008) und Prag (2009). Seit dem 20.7.2010 schließlich ist unter der Bezeichnung „e‑justice“ (https://e‑justice.europa.eu) das Europäische Justizportal online. Ein wenig getrübt wird diese Markengeschichte allein dadurch, dass es im Rahmen des nächsten IT-Gipfels der Kanzlerin die Arbeitsgruppe „e‑justice“ nicht mehr geben soll. Das ist zu bedauern, hatte doch die Kanzlerin in ihrer Rede beim IT-Gipfel in Stuttgart am 8.12.2009 noch festgestellt:
„Deshalb sind die Themen E‑Government und E‑Justice, die wir auch heute diskutiert haben, ein ganz wesentlicher Punkt unserer Arbeit.“
(http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2009/12/2009–12-08-rede-merkel-it-gipfel.html)
Wie dem auch sei: Relevante Themen wie „Justiz 2.0“ oder auch „e‑justice“ suchen sich ihre Orte, und wenn nicht beim IT-Gipfel der Kanzlerin, dann eben anderswo. Und diesmal in Saarbrücken.
Maximilian Herberger