Zehn-Punkte-Plan zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs

Präam­bel

Der elek­tro­n­is­che Rechtsverkehr ist ein wesentlich­er Baustein für eine leis­tungs­fähige und bürg­er­fre­undliche Recht­spflege, die das Ziel ver­fol­gt, eine effek­tive Rechts­gewährung in ein­er Welt auf Dauer sicherzustellen, in der die Bürg­er immer häu­figer elek­tro­n­isch kom­mu­nizieren. Die Nutzung elek­tro­n­is­ch­er Medi­en für die rechtsverbindliche Kom­mu­nika­tion zwis­chen Gericht­en, Jus­tizbe­hör­den und Ver­fahrens­beteiligten ist jedoch bis­lang sowohl hin­ter den Erwartun­gen als auch hin­ter den Erfordernissen zurück geblieben. Zwar gibt es eine Rei­he von Pro­jek­ten auf Bun­des- und Lan­desebene, in denen derzeit wertvolle Erfahrun­gen gesam­melt wer­den. Als Massen­ver­fahren hat sich der elek­tro­n­is­che Rechtsverkehr aber bish­er nur in Aus­nah­me­fällen etablieren kön­nen. Ein wichtiger Anwen­dungs­fall ist dabei der elek­tro­n­is­che Han­del­sreg­is­ter­verkehr, durch den sowohl die Reg­is­ter­an­mel­dung als auch die Auskun­ft­serteilung ab dem 01.01.2007 auf die rein elek­tro­n­is­che Form umgestellt wird.

Die Jus­tizver­wal­tun­gen des Bun­des und der Län­der stim­men mit der Bun­desno­tarkam­mer, der Bun­desrecht­san­walt­skam­mer und dem Deutschen Anwaltvere­in in der Ein­schätzung übere­in, dass die Möglichkeit­en, die in der elek­tro­n­is­chen Kom­mu­nika­tion liegen, allen Beteiligten erhe­bliche Vorteile brin­gen kön­nen. Sie streben daher gemein­schaftlich an, den Nutzungs- und Ver­bre­itungs­grad von Ver­fahren des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs durch geeignete Maß­nah­men und in geeigneten Ver­fahren schnell und nach­haltig zu erhöhen, da sich nur dann der zum Teil koste­naufwändi­ge und mit prak­tis­chen Über­gang­sprob­le­men ver­bun­dene Umstel­lung­sprozess der inter­nen Abläufe auf eine vol­lelek­tro­n­is­che Abwick­lung lohnt. Nur wenn möglichst viele Gerichte, Jus­tizbe­hör­den, Anwälte, Unternehmen und Bürg­er den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr inten­siv nutzen, kann es gelin­gen, die vorhan­de­nen Opti­mierungspoten­ziale der neuen Tech­nolo­gien auch tat­säch­lich zu real­isieren. Ohne eine zügige und nach­haltige Erhöhung des Nutzungs- und Ver­bre­itungs­grades ist dage­gen zu befürcht­en, dass die derzeit getätigten oder geplanten Investi­tio­nen in die Infra­struk­tur des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs nicht die erhoffte Wirkung erzie­len. Deutsch­land wür­den in diesem Fall Nachteile im europäis­chen und inter­na­tionalen Stan­dortwet­tbe­werb dro­hen, weil objek­tiv mögliche Pro­duk­tiv­ität­szuwächse nicht real­isiert werden.

Die Jus­tizver­wal­tun­gen des Bun­des und der Län­der und die Berufsvertre­tun­gen der Anwälte und Notare haben sich deshalb auf ein ehrgeiziges Ziel ver­ständigt: Sie streben an, bis zum Jahr 2010 die Gerichte, Staat­san­waltschaften und Jus­tizbe­hör­den möglichst flächen­deck­end in die Lage zu ver­set­zen, die gesamte Kom­mu­nika­tion zwis­chen den Ver­fahrens­beteiligten rechtswirk­sam elek­tro­n­isch abzuwick­eln. Zugle­ich set­zen sie sich dafür ein, in der Mehrzahl der Anwalt­skan­zleien, sowie bei den Geschäftsstellen, Richter- und Recht­spflegerar­beit­splätzen bis zu diesem Zeit­punkt die Infra­struk­tur für den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr aufzubauen. In den Notari­at­en wird diese Grund­lage auf­grund der Pflicht zur elek­tro­n­is­chen Ein­re­ichung der Han­del­sreg­is­ter­an­mel­dung ab dem 01.01.2007 zur Ver­fü­gung ste­hen. Schrit­tweise soll mit diesen Maß­nah­men erre­icht wer­den, dass bis zum Jahr 2010 ein Großteil der rechtsverbindlichen Kom­mu­nika­tion in hier­für geeigneten Ver­fahren auf elek­tro­n­is­chem Wege abgewick­elt wird.. Um dieses Ziel zu erre­ichen, haben sie den nach­ste­hen­den Zehn-Punk­te-Plan zur Förderung des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs vere­in­bart und wer­den auf seine Umset­zung hinwirken.

Zehn Maß­nah­men zur Förderung des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs

  1. Ein­führung und Weit­er­en­twick­lung des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs sind in noch höherem Maße als bish­er durch eine inten­sive und abges­timmte Öffentlichkeit­sar­beit der Jus­tiz und der Berufsvertre­tun­gen der Anwälte und Notare zu begleit­en. Eine wichtige Rolle kommt hier­bei der Europäis­chen EDV-Akademie des Rechts zu. In beson­derem Maße sind Anwen­dungs­fälle der elek­tro­n­is­chen Kom­mu­nika­tion zu entwick­eln und zu fördern, die zu ein­er effizien­teren Ver­fahrens­gestal­tung führen und mit Meth­o­d­en der klas­sis­chen Kom­mu­nika­tion nicht erre­icht wer­den kön­nen. Dazu gehören die elek­tro­n­is­che Aktenein­sicht, der elek­tro­n­is­che Kosten­fest­set­zungsantrag, die elek­tro­n­is­che Prozesskosten- und Beratung­shil­feabrech­nung sowie die Ein­sichtsmöglichkeit für den jew­eils berechtigten Per­so­n­enkreis in elek­tro­n­isch geführte Reg­is­ter und Bücher.
  2. Der elek­tro­n­is­che Rechtsverkehr soll in Aus- und Fort­bil­dung kün­ftig stärk­er berück­sichtigt wer­den. Anzus­treben ist seine aus­drück­liche Ver­ankerung als Aus­bil­dungs­ge­gen­stand in den Aus­bil­dungsvorschriften der jus­tiz­na­hen Berufe.
  3. Die Jus­tizver­wal­tun­gen wer­den den Inter­net-Auftritt www.justiz.de zum zen­tralen Por­tal für den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr in Deutsch­land ausbauen.
  4. Die Jus­tizver­wal­tun­gen wer­den die Kom­mu­nika­tions- und Sicher­heitsin­fra­struk­tur für den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr durch die Bere­it­stel­lung eines „zen­tralen Gerichts­briefkas­tens“ schrit­tweise vere­in­heitlichen. In der Endaus­baustufe sollen alle Ver­fahrens­beteiligten mit allen Gericht­en und Jus­tizbe­hör­den über ein einziges Sys­tem rechtsverbindlich kom­mu­nizieren kön­nen, ohne dabei tech­nisch auf einen bes­timmten Kom­mu­nika­tion­sweg fest­gelegt zu werden.
  5. Die Stan­dar­d­isierung von Date­naus­tauschfor­mat­en für den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr (XJus­tiz) ist mit Nach­druck fortzuführen. Um die prak­tis­che Rel­e­vanz der fest­gelegten For­mate zu erhöhen, soll­ten an ihre Ver­wen­dung nach Möglichkeit gewisse Vorteile für die Ver­fahrens­beteiligten geknüpft wer­den. Die Jus­tiz wird ihre Fachver­fahren im Rah­men des wirtschaftlich Vertret­baren schrit­tweise an den XJus­tiz-Stan­dard anpassen. Mit den Her­steller von Anwalts- und Notar­soft­ware ist entsprechend zu kooperieren. Die Jus­tiz ist bestrebt, den Ver­fahrens­beteiligten die für eine Erfas­sung von Dat­en im XJus­tiz-For­mat erforder­lichen Bas­is­funk­tion­al­itäten über kosten­freie Mod­ule zur Ver­fü­gung stellen.
  6. Die tech­nisch-organ­isatorischen Rah­menbe­din­gun­gen für den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr sind so anwen­der­fre­undlich wie möglich zu gestal­ten. Dabei ist ins­beson­dere auf die Sich­er­stel­lung ein­er organ­isatorisch sin­nvollen Arbeit­steilung bei der Postab­wick­lung Rück­sicht zu nehmen. Auch im elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr muss der Anwalt in der Lage sein, seine Tätigkeit auf die juris­tis­che Arbeit der Erstel­lung, Kon­trolle und rechtsverbindlichen Sig­natur der Doku­mente zu begren­zen und den Ver­sand auf seine Mitar­beit­er zu delegieren. Insoweit sollen an Recht­san­wälte und Notare keine weit­erge­hen­den Anforderun­gen gestellt wer­den als an Richter. Oual­i­fizierte elek­tro­n­is­che Sig­na­turen sind in weit­en Bere­ichen geset­zlich vorgeschrieben. Darauf müssen sich alle Beteiligten ein­stellen. Dazu gehört ins­beson­dere auch, dass im Zusam­men­wirken mit den Her­stellern von Sig­natur- und Fachan­wen­dungssoft­ware die Anwen­der­fre­undlichkeit des Sig­natur­vor­gangs kon­tinuier­lich verbessert wird. Auf diese Weise kön­nen Akzep­tanzprob­leme, mit denen die qual­i­fizierte Sig­natur derzeit noch zu kämpfen hat, schrit­tweise über­wun­den wer­den. In Teil­bere­ichen des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs sind aber auch andere Ver­fahren zur Gewährleis­tung der Integrität und Authen­tiz­ität der Kom­mu­nika­tion rechtlich zulässig.
  7. Unter Berück­sich­ti­gung der Vorteile des Ein­satzes von Elek­tron­ik ist eine effizien­tere Gestal­tung der Ver­fahrens­abläufe in geeigneten Ver­fahren anzus­treben, wobei die Anforderun­gen an Rechtsstaatlichkeit und Qual­ität gerichtlich­er und behördlich­er Entschei­dun­gen unberührt bleiben müssen. Hierzu dient unter anderem das bere­its ini­ti­ierte län­derüber­greifende Pro­jekt zur „Ablauf­beschrei­bung des erstin­stan­zlichen elek­tro­n­is­chen Zivil­prozess­es vor den Landgericht­en“. Ins­beson­dere sollte über­all dort, wo dies sach­lich möglich ist, auf das Erforder­nis der Beifü­gung anspruchs­be­grün­den­der Unter­la­gen verzichtet wer­den. So kön­nte zum Beispiel das Voll­streck­ungsver­fahren für den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr „geöffnet“ wer­den, indem nach öster­re­ichis­chem Vor­bild ein vere­in­facht­es Ver­fahren geschaf­fen wird, in dem Voll­streck­ungsanträge ohne Beifü­gung des Titels gestellt und automa­tisiert bear­beit­et wer­den kön­nen. Auch in anderen Ver­fahren sollte geprüft wer­den, welche Doku­mente, Nach­weise oder Angaben tat­säch­lich erforder­lich sind.
  8. Die Beschle­u­ni­gung von Ver­fahrens­abläufen bildet einen wesentlichen Anreiz für die Nutzung des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs. In erster Lin­ie kommt es hier­bei auf eine Opti­mierung der inter­nen Bear­beitung­sprozesse bei Gericht­en, Behör­den, Anwäl­ten und Notaren durch den Ein­satz elek­tro­n­is­ch­er Vor­gangs­bear­beitungssys­teme an. Der elek­tro­n­is­che Rechtsverkehr darf Ver­fahren nicht kom­pliziert­er machen, als erforder­lich. Die Ver­fahren müssen so schlank und effek­tiv wie möglich und so sich­er wie nötig gestal­tet werden.
  9. Damit ein ver­fahren­sein­lei­t­en­der elek­tro­n­is­ch­er Schrift­satz ohne Verzögerun­gen zugestellt wer­den kann, sollte es dem Ein­re­ich­er frei gestellt wer­den, dem Gericht eine (ggf. der Höhe nach beschränk­te) elek­tro­n­is­che Lastschrifteinzugser­mäch­ti­gung zu erteilen. Mit Ein­gang der qual­i­fiziert sig­nierten Einzugser­mäch­ti­gung bei Gericht sollte die Vorschusszahlung als geleis­tet ange­se­hen wer­den, sofern die Gefahr eines Miss­brauchs als ger­ing einzuschätzen ist. Soweit erforder­lich sollen die geset­zlichen Voraus­set­zun­gen hier­für geschaf­fen werden.
  10. Ob finanzielle Anreize für Ein­re­ich­er einen Beitrag zur Förderung der Teil­nahme am elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr leis­ten kön­nen, sofern die Prinzip­i­en der Flex­i­bil­ität, Wirtschaftlichkeit, Prak­tik­a­bil­ität und Belas­tungsneu­tral­ität beachtet wer­den, soll anhand von prak­tis­chen Erfahrun­gen in einzel­nen Pilot­pro­jek­ten über­prüft wer­den. Auf der Grund­lage dieser Erfahrun­gen soll gegebe­nen­falls über die Ein­führung eines bun­desweit ein­heitlichen Anreizsys­tems entsch­ieden werden.