Ziele und Aufgaben

Wol­fram Viefhues:
Gemein­same Kom­mis­sion zum elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr gegründet

Am 11.3.2004 hat sich in Merzig (Saar­land) die “Gemein­same Kom­mis­sion zum elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr” kon­sti­tu­iert, in der Vertreter der Anwaltschaft (DAV und BRAK), der Bund-Län­der-Kom­mis­sion als Organ der Lan­desjus­tizver­wal­tun­gen und des Bun­desmin­is­teri­ums der Jus­tiz zusam­men mit Prak­tik­ern der Pilot­gerichte und Mit­gliedern des Vor­standes des Deutschen EDV-Gericht­stages zusam­me­nar­beit­en wer­den. Die Kom­mis­sion soll auch über einzelne Geset­zge­bungsvorhaben hin­aus tätig sein.

Beim Bun­des­gericht­shof wird seit Herb­st 2001 elek­tro­n­is­ch­er Rechtsverkehr (ERV) prak­tiziert. Das Finanzgericht Ham­burg hat­te zuvor als erstes Gericht in Deutsch­land elek­tro­n­is­che Kla­gen ent­ge­gengenom­men (seit Anfang 2002 im Echt­be­trieb). Weit­ere Pilot­pro­jek­te erproben den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr bzw. bere­it­en ihn vor (u.a. das Bun­despatent­gericht, das Bun­desver­wal­tungs­gericht und der Bun­des­fi­nanzhof, die Finanzgerichte des Lan­des Bran­den­burg mit Sitz in Cot­tbus, des Lan­des Nor­drhein-West­falen in Düs­sel­dorf, Mün­ster und Köln, die Oberver­wal­tungs­gerichte Koblenz und Mün­ster, die Amts­gerichte Olpe und West­er­st­ede). Das Bun­desjus­tizmin­is­teri­um arbeit­et inten­siv daran, die Ver­fahrensvorschriften der Prozes­sor­d­nun­gen an die Erfordernisse des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs anzu­passen. Der Entwurf eines Jus­tizkom­mu­nika­tion­s­ge­set­zes (JKomG) liegt vor.

Ein erster Vor­läufer des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs war das automa­tisierte Mah­n­ver­fahren mit Daten­träger­aus­tausch. Inzwis­chen wird durch die Lan­desjus­tizver­wal­tun­gen auch ein sig­natu­run­ter­stütztes Online-Mah­n­ver­fahren einge­führt. Zu nen­nen sind in diesem Zusam­men­hang auch z.B. das elek­tro­n­is­che Han­del­sreg­is­ter, das elek­tro­n­is­che Grund­buch und die elek­tro­n­is­che Veröf­fentlichung von Insol­ven­zver­fahren. Auch im Ver­wal­tungsver­fahren­srecht ist die rechtsverbindliche elek­tro­n­is­che Kom­mu­nika­tion bere­its möglich.

Trotz dieser Pilotver­fahren gibt man sich in der Prax­is noch vielfach der Mei­n­ung hin, dies sei reine Zukun­ftsmusik und werde das eigene Arbeit­sum­feld noch auf Jahre hin­aus nicht betr­e­f­fen. Dabei wer­den sich aus dem elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr weit­ge­hende Verän­derun­gen in den Arbeitsabläufen bei den Gericht­en und in gle­ich­er Weise auch in den Anwalt­skan­zleien ergeben.

Beim let­zten EDV-Gericht­stag im Herb­st 2003 in Saar­brück­en stand das The­ma “Elek­tro­n­is­ch­er Rechtsverkehr” im Mit­telpunkt. Die inten­siv­en Diskus­sio­nen dort haben gezeigt, dass der elek­tro­n­is­che Rechtsverkehr nicht isoliert bei den Gericht­en einge­führt wer­den kann, son­dern als eine Auf­gabe zu begreifen ist, die Geset­zge­ber, Jus­tiz und Anwaltschaft nur durch gemein­same Anstren­gun­gen bewälti­gen können.

Beim elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr sollen nicht nur Kla­gen und andere prozes­suale Erk­lärun­gen in elek­tro­n­is­ch­er Form statt schriftlich auf Papi­er bei den Gericht­en ein­gere­icht wer­den kön­nen; den Ver­fahrens­beteiligten sollen gerichtliche Entschei­dun­gen und form­lose Nachricht­en auch elek­tro­n­isch über­mit­telt wer­den kön­nen. Dabei bietet dieelek­tro­n­is­che Kom­mu­nika­tion neben dem Zeit­gewinn auch die Aus­sicht auf eine Reduzierung von Por­tokosten. Elek­tro­n­is­ch­er Rechtsverkehr ist aber nicht nur die rechtsverbindliche elek­tro­n­is­che Kom­mu­nika­tion zwis­chen Ver­fahrens­beteiligten und den Gericht­en.. Die Ziel­rich­tung geht weit über darüber hin­aus und umfasst u.a. die interne elek­tro­n­is­che Sach­be­hand­lung (Work­flow), die elek­tro­n­is­che Akten­führung und die elek­tro­n­is­che Archivierung.

Von der elek­tro­n­is­chen Akten­führung erhofft man sich eine bessere Ver­füg­barkeit der Akten und einen Weg­fall von manuellen Akten­trans­porten. Der edv-unter­stützte Work­flow soll eine erle­ichterte und beschle­u­nigte Ver­fahrens­bear­beitung ermöglichen, da der Akten­in­halt elek­tro­n­isch nach völ­lig anderen Gesicht­spunk­ten zusam­menge­fasst, sortiert und sys­tem­a­tisiert wer­den kann als es bei ein­er lediglich chro­nol­o­gisch geord­neten Papier­ak­te der Fall ist. Mit der elek­tro­n­is­chen Archivierung kön­nten darüber hin­aus Kosten für die Auf­be­wahrung der Akten einges­part werden.

Damit zeigt sich aber, dass der elek­tro­n­is­che Rechtsverkehr auch ein Ansatz zur Organ­i­sa­tion­sre­form ist, der dazu zwingt, Arbeitsabläufe neu zu definieren, straf­fer und effek­tiv­er zu gestal­ten. Dies gilt für die Gerichte eben­so wie für die pro­fes­sionellen Kom­mu­nika­tion­spart­ner der Jus­tiz, also vor allem die Anwaltschaft.

Wegen dieser vielfälti­gen Auswirkun­gen nicht nur in tech­nis­ch­er Hin­sicht, son­dern speziell auf Arbeitsabläufe und Organ­i­sa­tion­sstruk­turen wird diese Auf­gabe alle Beteiligten noch auf lange Zeit beschäfti­gen. Selb­stver­ständlich hat auch die Anwaltschaft ein großes Inter­esse daran, in die Gestal­tung der gesamten Entwick­lun­gen frühzeit­ig ein­be­zo­gen zu wer­den und daran gestal­tend mitwirken zu können.

Die auf Ini­tia­tive des EDV-Gericht­stags ins Leben gerufene gemein­same Kom­mis­sion bietet eine Plat­tform, die zahlre­ichen Fra­gen des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs zu erörtern und eigene prak­tis­che Erfahrun­gen auch der Ver­fahrens­beteiligten außer­halb der Jus­tiz ( Anwälte, Notare, Steuer­ber­ater ) einzubrin­gen. Die Erken­nt­nisse aus den Pilot­pro­jek­ten sollen doku­men­tiert und nach Möglichkeit auch konkrete Lösungsvorschläge mit zumin­d­est mit­tel­fristigem Nutzef­fekt entwick­elt werden.

So kön­nten sich z.B. bei der elek­tro­n­is­chen Sig­natur, die bish­er noch keine große Ver­bre­itung gefun­den hat, neue Per­spek­tiv­en durch andere Anwen­dungs­felder ergeben. Eben­so kann eine zum Vors­teuer­abzug geeignete Rech­nung auch elek­tro­n­isch mit qual­i­fiziert­er Sig­natur erstellt wer­den. Die Sig­naturkarte bietet fern­er in vie­len Bun­deslän­dern die Möglichkeit, online-Mah­nanträge zu stellen. Weit­er soll der Frage nachge­gan­gen wer­den, ob anstelle der Ein­zahlung des gerichtlichen Kosten­vorschuss­es durch Kosten­marken, Ver­rech­nungss­check oder Über­weisung auch die Möglichkeit­en des Abbuchungsauf­trages bzw. Lastschriftver­fahrens genutzt wer­den kön­nen. Nicht zulet­zt soll den Anbi­etern von Anwaltssoft­ware die Notwendigkeit der Unter­stützung des elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehrs durch die jew­eili­gen Pro­gramme verdeut­licht werden.

Die Teil­nehmer der Auf­tak­t­sitzung bracht­en übere­in­stim­mend ihre Hoff­nung zum Aus­druck, dass auf­grund der koor­dinierten gemein­samen weit­eren Arbeit dem elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr nach­haltige Impulse gegeben wer­den kön­nen und damit ein bre­it­er Ein­satz zum Vorteil aller Beteiligten ermöglicht wird.


Dieser Artikel wurde zuerst in der Online-Zeitschrift Jur­PC als Web-Doku­ment 177/2004 veröffentlicht.