Das Fax glänzt immer noch durch zuverlässige Zustellung, minimalen Aufwand und hohe Interoperabilität mit der Aktenführung in Gerichten und Kanzleien. Der Elektronische Rechtsverkehr (ERV) ist fast ausschließlich auf den Austausch von Dokumenten gerichtet. Der ERV versucht also, das Fax durch die Zustellung von PDF-Dokumenten via gesicherter Postfächer zu ersetzen. Das fällt vor dem Hintergrund der herausragenden juristischen Privilegien des Fax schwer, ist aber im Gang. Beiden Systemen ist gemeinsam, dass sie dokumentenorientiert sind. Erklärungen sind in Dokumenten, ein Schriftsatz ist ein Dokument, ein Antrag ist ein Dokument, eine Entscheidung ist ein Dokument. Mit dem ERV werden daraus elektronische Dokumente. Sonst ändert sich nichts.
Diesem Status Quo wollen wir eine zukunftsgerichtete Vision eines dynamischen Prozesses entgegenstellen, der den derzeitigen Stand der Technik in der EDV voll nutzt. Den Anfang macht Dr. Ralf Köbler, in dem er uns kurz den strukturierten Parteivortrag und das Konzept des Basisdokuments in Erinnerung ruft. Es geht also darum, dass der Austausch von Dokumenten durch ein direktes gemeinsames Arbeiten an der Relationstabelle ersetzt wird. Die Streitigkeiten sollen so viel klarer herausgearbeitet, dem Richter durch die jeweilige Einordnung der Argumente viel Arbeit erspart werden.
Das Basisdokument ist aber immer noch ein Dokument. Dieses Dokument ist nicht maschinenlesbar. Es wird von Menschen konsumiert, die den semantischen Inhalt erfassen und verarbeiten. Doch inzwischen können auch Systeme semantische Inhalte erfassen und verarbeiten. Das kann man sich zunutze machen, indem die Relationstabelle nun in einen Wissensgraphen überführt wird, der Argument und Gegenargument, Beweis und Gegenbeweis, semantisch über Knoten und Kanten verbindet. Christian Sageder ist Direktor der Cybly GmbH, die, wie das DFKI, am Lynx-Projekt beteiligt war. Dieses Projekt hatte zum Ziel, Regeln und Regulierung in Wissensgraphen zu überführen, um Anwendern und KMUs den Zugang zu dieser Information zu erleichtern. Dabei werden diese Regularien analysiert, strukturiert und teilweise reduziert, wo das eben geht. Er stellt diese Arbeit an den juristischen Wissensgraphen vor, um eine Vorstellung von den Möglichkeiten der Technik zu vermitteln.
Auf dieser Basis werden wir diskutieren, wie der strukturierte Parteivortrag als Wissensgraph über den Prozess ausgeformt werden und damit ein moderner, computergestützter Zivilprozess entstehen kann. Statt Dokumenten werden Erklärungen ausgetauscht. Diese werden in den Wissensgraph integriert und können dort sofort auf Kohärenz untersucht werden. Fehlt eine bestimmte Erklärung, dann kann das System eine Partei daran erinnern. In Mammutverfahren kann die Relationstabelle mit entsprechender Verarbeitung automatisch gefüllt werden. Der Wissensgraph kennt die streitigen Punkte und wirft sie nach einfachen (vorgefertigten) Suchen mit Kontext aus. Anstatt eines Dokuments mit Worten kann man sich eine Art komplexe Mindmap vorstellen, die nun an der genau richtigen Stelle aufgeschlagen wird. Hier angekommen, wird der Arbeitskreis offen die Vor- und Nachteile einer solchen Vision diskutieren.
Referenten:
Prof. Dr. Ralf Köbler, Präsident des Landgerichts Darmstadt, Honorarprofessor an der Universität Speyer
Christian Sageder, Direktor, Cybly GmbH, Salzburg
Moderation:
Rigo Wenning, Rechtsanwalt, European Research Consortium for Informatics & Mathematics (ERCIM) World Wide Web Consortium (W3C), Anwaltskanzlei Frösner & Partner mbB Freising
Dr. Thomas Lapp, Rechtsanwalt und zertifizierter Mediator, Fachanwalt für Informationstechnologierecht, Lehrbeauftragter Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Prof. Dr. Christoph Sorge, Institut für Rechtsinformatik, sowie kooptierter Professor der Fachrichtung Informatik, Universität des Saarlandes, Saarbrücken